Darfs noch etwas düstrer sein? Stellen Sie sich einen Metzger vor, der aus dem Schlachtraum nach nächtlicher Schlachtorgie – allein unter (toten) Schweinen völlig erschöpft in der Verkaufsraum kommt, um die (nachts frisch produzierte) Ware an den Mann, die Frau, das Kind zu bringen. Feine Grützwurst, Kopfsülze, fettglänzendes Rippchen …
… die Dystopie kommt nicht geradewegs zur Tür herein und sagt, hallooo, ich bin die Dystopie. Nein nein, sie hüllt sich in schmutzige Klamotten ganz alltäglicher Menschen, die nach einem harten Arbeitstag heimkommen und alles andere im Sinn haben, als unter die Dusche zu springen. Metzger wie Friseurinnen, Bäcker oder Verwaltungsangestellte, Fabrikarbeitende und ja, auch Künstlerinnen und Künstler. Allesamt zu erschöpft für Körperpflege, nachdem eine Tagschicht im allesfressenden kapitalistischen System ihnen jegliche Kraft für Fellpflege geraubt hat. (Peter Charles Marx II für ‚The Anticapitalist-Magazine‘, Desmoines)
Diese ‚Müdigkeit am anderen Ende des Alltags‘ schwingt in Heiko Moorlanders epischen Schlammkunstwerken stets mit. Man kann förmlich die fettigen Haarsträhnen seiner Protagonistinnen und Protagonisten tasten. Wie sie weich und kühl wie frisch gefangene Molche durch die Finger gleiten. Man kann den Achselschweiß riechen, das Reiben zu harter Bünde zu enger Unterhosen an den Innenseiten von Schenkeln. Wund fühlt man sich und unheimlich erschöpft, nachdem man Einblick hatte in Moorlanders Pandemie-Zyklus 2019-2021).
Wer Moorlanders Kunst verstehen will, muss Mensch sein. Und durchschnittlich. Und er muss hart arbeiten Tag für Tag. Nur so kann man es auch fühlen! Der Look and Feel von Moorlanders Kunstwerken, die für unvorstellbare Summen den Besitzer, die Besitzerin wechseln, ist alles andere als elitär. Schlammkunst ist Mühsal. Das wusste der junge Moorlander schon recht früh, als er mit seinem Kinderbagger ‚Louis‘ auf dem Paradeplatz der Klagenfurt-Barracks erste Spuren im Ascheplatz zeichnete.
Jahrzehnte sind seither vergangen. Aus dem Jungen wurde ein Mann und aus dem Mann ein Millionär. Einer, der es geschafft hat. Doch wie so oft im Leben: der Junge, aus dem du einst wuchst, der bleibt. (‚Kleiner, tapsiger Strippenzieher wo Herz am rechten Fleck‘ und ‚Darfs a Schtickerl Wurscht sein füa den Bubn, gnä Frau?‘)
Dann kam Corona. Die Welt stand still. Sehr lange stand sie still. Alle Schlammkunst-Festivals weltweit abgesagt. Versteigerungen, Ausstellungen, Retrospektiven: Nichts, nada, niente! Finito Lavoro. In den USA war es zudem über lange Monate untersagt, überhaupt auf Feldern unterwegs zu sein, es sei denn man war Farmer. Bestellte das Land. Dann durfte man.
Ein Schlupfloch, das sich Moorlander zu Nutze machte. Kurzerhand kaufte er einen alten Mähdrescher und diente sich incognito den Farmern und Farmerinnen im Bundesstaat Illinois an. Für den Mindestlohn (8 $/hr) ackerte der Ausnahmekünstler in den Erntesaisons 2019 bis 2021 und die gesamte Aufzucht 2020/2021 auf den weiten Feldern des Bundesstaats im Herzen der USA. Grandiose MudArt-Kunstwerke schuf der Arbeiter in dieser Zeit: ‚Fettsträhne, dein Name sei Heiko‘ und ‚Wasch mich, ich bin der Mörder‘ und viele viele mehr. Sie alle fielen der Ernte zum Opfer.
Seine Tarnung als ganz normaler Mensch fiel erst auf, als er mit einer Ford Saatmaschine ‚4934 Ultra‘ den Parkplatz des Walmart-Supermarkts in Desmoines zwei Zentimeter hoch mit genetisch verändertem Mais ‚besäte‘. Das Kunstwerk unter dem Titel ‚I Gen You, Bloody Honk‘ (Ich geb‘ Dir, verdammter Trottel) sollte an einen naurutischen Kunstsammler verkauft werden, wurde aber vom FBI als Beweismittel beschlagnahmt*.
Viele Geschichten ranken sich um Moorlanders Leben ‚In The Fields 2020/2021‘. Einige sind wahr, wie etwa, dass stets das Lied ‚Love Will Tear Us Apart‚ (Joy Division) aus den Quatro-Boxen seiner Maschinen trümmerte.
Verbrieft durch zahlreiche Anzeigen wegen Lärmbelästigung.
Unter dem Motto ‚Cov Will Tear Us Apart‘ (etwa: Covid wird uns entzweien) steht auch der vorliegende Kalender Moorlander 2022. In zwölf Monatsblättern schildert das außergewöhnliche Dokument die ‚Geschichte einer Pandemie in Zeiten steigender Dieselpreise‘.
*Eine Liste beschlagnahmter Moorlander-Kunstwerke offenbart übrigens einen traurigen Superlativ: Der MudArtist gilt als der Künstler weltweit, der mehr Kunstwerke in den Aservatenkammern weltweiter Strafverfolgung vorzuweisen hat, als irgend ein anderer Künstler.
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