Skywalk

Angst? Ist es das? Wenn die Kälte durch die Sohlen kriecht und sich Zentimeter um Zentimeter die Beine hocharbeitet bis zu den Knien und über die Oberschenkel hinaus weiter bis zum Bauchnabel, wo sie im Bauch spielt, die Blase auskühlt und sich ein dringendes Bedürfnis einstellt und du auf der Stelle trittst, so gut es denn möglich ist in der Angstkältehölle. Die Fußspitzen ragen ein paar Zentimeter über den Betonsockel. Den Rücken presst du an die Wand, hältst den Kopf gerade. Die Arme baumeln rechts und links. Wenn du sie vor der Brust verschränkst, um dich zu wärmen, gerät dein Körper in Schieflage. Du könntest abstürzen. Unter den Fußspitzen ist vier Stockwerke nichts. Bis zum Pflaster des Schwarzen Turms würdest du vorbei an den Wohnungen der Wiederkehrs und der Ochsners stürzen und weiter fallen vorbei an den weiß verklebten Fenstern der Massagepraxis im ersten Stock, bis du vor dem Schaufenster des Juweliers aufschlagen würdest. Dann wärst du vermutlich tot.

Die beiden unteren Drittel des Bildes zeigen eine aufgerissene Erdmiete mit den Spuren von Baumaschinen und einer Pfütze. Wie junges Leben spriest an der Abbruchkante ein schmaler Streifen Gras, über dem sich vielstöckige Miteshäuser im Hintergrund in einen milchig weißbläulichen Himmel recken.
Heik Moorlanders Kunstwerk Skywalk zwischen den Gemeinden Hausen und Windisch im Schweizer Aargau.

Ausgerechnet in der kleinen, ordentlichen Schweiz, in der die Wege meist befestigt, gerade, sicher und unerbittlich sind schuf Heiko Moorlander anlässlich der dritten internationalen MudArt-Biennale im Aargauer Birrfeld dieses irritierende Kunstwerk. Noch immer ist unklar, woher der Ausnahme-MudArtist den Mut nahm, ein Werk von solch unglaublicher Intimität zu schaffen, das tief blicken lässt in die Seele des kleinen Jungen, der er einst war – oder auch nicht? Alles nur Show?

„Das rätselhafte ‚Kunstwerk‘ lässt viele Fragen offen […]“, so der MudArt-Kritiker Frank Beckebiehl in einem Artikel des Brugger Schlammboten, „Moorlander zieht alle Register der feinen Künste und ist sich auch nicht zu schade, im Baukasten des Surrealismus zu wildern. Wie willkürlich durcheinander geworfene Knochen, die nicht einmal ein Andalusischer Hund mehr ins Maul nähme, wirkt das Ensemble, das eines Teilnehmers unserer schönen internationalen Mudart-Biennale nie und nimmer würdig ist“.

Trotz oder gerade wegen des Verrisses und der unverhohlenen Hasstirade Beckebiehls wurde das Kunstwerk durch eine nicht genannt werden wollende Lysser Stiftung in eine Privatsammlung angekauft.

Der Künstler selbst sah den Eklat gelassen: „Was solls, die Fonduepackung ist gelutscht. Ich bin höchst zufrieden. And always think about, guys, it’s MudArt, es ist was es ist, sprach der Bagger … hätte hätte Caterpilarkette …“

Wir wissen nicht, worauf der Künstler hinaus wollte, aber vermutlich war es einfach nur ein weiterer, gebetmühlenhafter Versuch, das Credo der MudArt hochleben zu lassen.

‚Selfsupported, free, neither a fence nor a frontier‘

 

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