Scratched In The Sandbox

Es gibt zwei Kräfte, die die Handlungen der Menschen bestimmen. Das eine ist die Angst. Das andere ist ein diffuses Etwas, das individuell verschieden gedeutet werden muss, eine Art Schöpfungskraft, aufstrebend, voranpreschend wie eine 1200 PS starke Roadtrain in der Nullarbor-Ebene der eigenen kleinen Existenz.

Gewiss, der martialische Vergleich der menschlichen Psyche mit einem Dieselmotor und einem fernen, heißen Kontinent (das Zitat spielt an auf die Nullarbor-Ebene im Süden Australiens), mag etwas an den Haaren herbei gezogen sein, aber es ist auch kein Journalist, der dies schreibt, sondern ein gewisser Joe Dineb. Der Barkeeper aus irgendwo mitten in der Wüste irgendwo mitten in den USA schreibt in seinem Buch ‚Mundschenk und Director of MudArt‘ nicht nur über seine Begegnung mit einem Team Heiko Moorlanders im Jahr 1997, vielmehr rankt er seine Autobiografie um diese Begegnung, Ausflüge in die Alltagsphilosophie inklusive.

Das Bild zweier Kräfte, die den Menschen bestimmen im ewigen Clinch zwischen Gut und Böse, Hin und Her, Auf und Ab, ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Ebbe und Flut, Geben und Nehmen, Dick und Doof, viele, oft skurrile Ausprägungen finden sich in Religion und Kunstgeschichte über die Jahrhunderte bis tief hinein in die Digitale Welt, die nur noch aus Einsen und Nullen besteht.

Dazwischen irgendwo dieselrußsstinkend und auf brutal sensible Weise harmonisch die MudArt. Und in der MudArt widerum der wohl bekannteste Künstler dieser Gattung, Heiko Moorlander.

Auch er war einst den Gegenpolen allen Seins unterworfen, gibt er in einem Interview mit dem MudArt-Experten und Kunstkritiker Ed Korman zu.

Ich war ein sehr sensibles Kind, das sich nur ungern aus dem Haus traute. Der Sandkasten vor unserer Mietskaserne in den Klagenfurt Airfield Barracks war bis zu meinem siebten Lebensjahr der entfernteste Ort der Welt. Dort war ich frei, fühlte mich sicher und geborgen … bis mich eines Tages der Nachbarjunge Ken verprügelte. Wie lange ist das jetzt her […] wie auch immer, an diesem Tag wurde mir klar, ich muss kämpfen, auch wenn ich gescheitert war. Scratched in the Sandbox spielt auf jenes Erlebnis an, aber das sage ich jetzt nur ihnen, Herr Korman.

Wie dieses Geheimnis in die Biografie von Joe Dineb gelangte ist unklar. Heiko Moorlander war jedenfalls ’not amused‘.

das untere Zehntel des Bilds zeigt eine Teeroberfläche, auf der ein gelblicher Sandhaufen liegt. Die Spur eines Gabelstaplers drückt sich im feuchten Sand ab.
Juni-Motiv des Moorlander-Kalenders 2020. Wie ein erhellender Accent Aigu stemmt sich die Spur des Künstlers gegen den Verlust der Kindheit.

Scratched in the Sandbox gilt als Schlüsselwerk zu Moorlanders innerer Einstellung zur martialischen MudArt, ihrer zerstörerischen, brutalen Kraft und dem Bindeglied zu dem zart besaiteten Jungen, der er einst war. Für sieben Millionen Dollar wechselte das Kunstwerk kürzlich bei einer Auktion den Besitzer und ist nun im privaten Museum der Schweizer Fondation Wiederkehr der Öffentlichkeit wieder zugänglich.

Du musst scheitern, um zu siegen, siegen, um zu scheitern, es ist die Tide. Immer ist es die Tide. (Epilog in Joe ‚Mouthful‘ Dinebs „Mundschenk und Director of MudArt“, 84 Seiten Paperback, Melville & Dick 2018)

 

2 Antworten auf „Scratched In The Sandbox“

  1. Joe Dineb scheint ein kluger Mann zu sein.
    Was wären Künstler:innen doch ohne Chronist:innen und solche, die ihre Spuren bewahren. Spuren, Vergänglichkeit, neue Spuren, wieder Vergänglichkeit. Es ist die Tide, der Wechsel. Immer. Jetzt.

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